Ich sitze also bei frischen Eiern und Orangensaft im Cafè Paris. Dabei beobachte ich am Nachbartisch eine glückliche Familie. Also jedenfalls dem Anschein nach. Nicht alles ist Gold was glänzt. Also mache ich mir den Spaß und überlege mir folgende Konstellation. Es ist mitten in der Woche und die ganze Familie ist beim Frühstück auswärts. Sie geht nicht arbeiten und lässt sich von ihm aus halten. Noch bevor er die Beziehungen beenden konnte, hat sie die Beziehumg durch den kleinen Jungen gerettet. Nachdem er dann wusste, dass seine Frau das Ding mit der Sekretärin spitz bekommen hatte, hat er ihr seine Liebe mit dem zweiten Kind bestätigt. Da er aber eigentlich genug von dieser Familienkiste hat und sein Da sein lieber als Lebemann verbringen möchte ist er regelmäßig auf Geschäftsreise. Nur seinen Eltern und die gesellschaftlichen Erwartungshaltung binden ihn an die Familie, dies und die Tatsache, dass ihm seine Frau finanziell die Hosen herunterlassen würde. Das sollte mir mal passieren.
Ich trottete wieder durch die Hamburger City und vertrat mir die Zeit. Irgendwie musste ich dabei immer in Bewegung bleiben. Bis ich endlich eine Nachricht auf meinem Handy ankam und zwar von meiner Frau. Sie war im Aufwachraum und wartete auf den Doc. Da ich zwischenzeitlich fast am anderen Ende der Innenstadt war, wechselte ich panisch die Richtung zurück zur Klinik. Um nicht für Panik zu sorgen, meldete ich, dass ich im Cafe im Nachbargebäude sitzen würde und gleich leer habe um zu zahlen und dann im Wartezimmer die restliche Zeit warten werde. Total verschwitzt schäle ich mich aus meiner winterfesten Daunenjacke und nehme im Wartezimmer Platz. Dabei kann ich in den nächsten 20 Minuten der ganzen Belegschaft zu sehen wie sie sich auf die Mittagszeit vorbereiten. Der Doc gibt übers Telefon seine Essenswünsche an die Damen weiter, während diese ihre Tuppern durch den Gang tragen. Dann endlich sehe ich meine Frau, wie sie in Begleitung einer Schwester den Ruheraum verlässt und den Gang hochkommt. Ich nehme die Tasche und bekomme meine Frau übergeben. Dabei schaut mich die Schwester streng an und mahnt mich den persönlichen Leibeigenen für meine Frau zu spielen. Ich bestätigte dies und fragte aber noch sicherheitshalber ob sie mich trotz des Eingriffs zur Kneipe hin und gegen später wieder abholen könnte. Da die Schwester wohl meinen Humor nicht teilte, ignorierte sie die Frage gekonnt.
Über den Bäcker zum Auto und dann zum Hotel zurück. Dort angekommen erhalte ich die ersten Befehle bezüglich der anstehenden Pflege, dazu eine Einkaufsliste mit den wichtigsten Wünschen. Dabei wäre ich auch bereit gewesen Unmögliches wahr zu machen, also quasi frisch gefangenen Fisch aufzutreiben (was in Hamburg ja nicht so schwer sein kann) aber würde ich wohl auch einen „schwimmenden Leoparden“ bekommen?? Das Problem stellte sich zu meinem Glück nicht, denn die Wünsche waren auf wenige Knabbereien und Tomatensuppe beschränkt. Den restlichen Nachmittag verbrachte ich lesend neben meiner schlafenden Frau. Da ich aber nicht jemand bin, der nicht still sitzen kann, trabte ich zunehmend wie ein Tiger im Käfig umher. Oma sagte immer Zappelphillip zu mir. Während meine Frau ihre Narkosereste ausschlief, zappte ich mich durchs Mittagsprogramm, laß, schaute aus dem Fenster und plante meine Bestellung für den Abend bei Pizza Hut, beim Thailänder, bei Mc Donalds, beim Dönerimbiss, American Diner… ich wollte für alle Essenswünsche meine Frau vorbereitet sein. Ich wüsste dann schon was ich gerne essen würde ich notierte mir die Nummer von den Menüs auf einem separaten Zettel. Den dabei aufsteigenden Hunger versuchte ich mit Keksen aus dem Fabrikverkauf zu stillen. Eins war auf jeden Fall klar, unter diesem Kinderwunsch würde nicht nur die Figur meiner Frau leiden.
Dem Anschein nach hatte meine Frau eine große Portion Narkose auszuschlafen. Da mein Hunger aber immer größer wurde und ich Angst hatte, dass mir von dem ganzen Süßkram schlecht werden würde, versuchte ich meine Frau sanft, aber zufällig zu wecken. Ich ließ mich ins Bett fallen …. nix, ich drehte den Fernseher lauter …nix, ich räusperte mich unterstützt durch einen asthmaähnlichem Husten … nix, ich stellte ihr Telefon auf laut und rief sie von meinem aus an … nix, ich trank einen großen Schluck Cola und rülpste so laut ich konnte … nix. Plötzlich klopfte es an der Tür. Es war jemand vom Service der wohl auf dem Flur die letzten Aktionen mitbekommen hatte. „Sagen sie, ist bei Ihnen alles in Ordnung? Ich habe sie zuerst husten hören und dachte sie hätten Atemnot, durch das Aufstoßen hat es sich aber wieder gelöst?? oder??“ „Äähhh, ja, ja hier ist alles paletti, wissen sie meiner Frau geht es nicht so gut … gestern ein bisschen zu viel gefeiert und so … verträgt nichts mehr. Also dann noch einen schönen Tag“ dabei schob ich die Tür wieder zu. Puuuhh ganz schön hellhörig hier. Im nächsten Moment erklang die Melodie ihrer Lieblingsserie im TV und dann …. meine Frau bewegte sich. Sie streckte sich, drehte sich zum Fernseher und fragte ob sie etwas verpasst hatte. „ Nee, gar nichts. Aber sag mal hast du nicht auch so einen riesigen Hunger?“
Am nächsten Tag ging es dann schon etwas besser und wir gönnten uns eine Spazierfahrt zu diversen Lebensmitteln Fabrikverkäufen. Wir fuhren das volle Schnäppchenprogramm. Schokolade, Suppen, Soßen, Wein, Kekse, Kaffee, Waschmittel, Shampoo, Salatsoßen, und und und. Ich kaufte wie wenn es bei uns zuhause keinen Laden mehr geben würde. Trotz aller Befriedigung die sich dadurch ergab, warten wir auf den Anruf vom Doc. Hat es diesmal geklappt? Und wenn ja, wie viele??
Als wir dann zwischen unseren jeweils kurzen Ausflügen eine Pause im Hotel einlegten, meldete sich tatsächlich der Doc. Nachdem wir noch immer die schmerzlichen Erinnerungen an den letzten Rückruf hatten, hatten wir versucht die Hoffnungen nicht mehr ganz so hoch zu schrauben. Wer hoch fliegt, fällt tief. Klar wünschten wir uns nichts größeres und keiner von uns hatte einen größeren Wunsch als dass der Doc uns nur Gutes erzählt. Wir haben aber auch gelernt, dass das Leben kein Streicheilzoo ist und uns das Schicksal auch nicht immer wohlgesonnen war, beruhigten wir uns immer wieder mit den nächsten Versuchen. Irgendwann muss es ja mal klappen. Und dann …. von den vier entnommen Eizellen konnte eine befruchtet werden und wäre, für einen Transfer, bei gleichbleibender Entwicklung, für den nächsten Tag bereit. „Na, habe ich Ihnen doch gesagt oder? Dieses Mal schaut es doch schon besser aus.“ Mit diesen Worten und noch einigen Instruktionen für meine Frau verabschiedete sich der der Doc. Wir konnten unser Glück kaum fassen. Total happy verbrachten wir den restlichen Tag. Um uns dann Abends mit einem Dauergrinsen beim Italiener etwas selbst zu feiern.
Beim Transfer durfte ich dann auch dabei sein. Mit Kittel und Stulpen betraten wir den „OP-Raum“ wenn man das so nennen kann. Ich hielt die Hand meiner Frau und beobachte alles auf den Monitor. Es wurde eine Einstellung aus dem benachbarten Labor gezeigt, die Schale, der Name meiner Frau und dann der die befruchtete Eizelle. Im nächsten Moment wurde sie von der Pipette aufgesogen und kam dann life in den OP zum Doc. Einsetzen und mit dem Ultraschall den Nistplatz checken, die Pipette überprüfen und dann fertig. Fast wie wenn man normal schwanger wird, nur dass ich halt neben meiner Frau saß und alles am Bildschirm beobachten konnte. Das Kuriose war, dass das Spermium zur Befruchtung aus der frischen Probe stammte und nicht aus dem Eis. Sollten die ganzen Quälereien alle umsonst gewesen sein? Zweimal habe ich mir den Hoden aufschneiden lassen, und jetzt das? Mir soll es recht sein, aber wenn mir mal das Schicksal über den Weg läuft, kann ich für nichts mehr garantieren!
Kurze Zeit und einige Instruktionen später saßen wir wieder im Auto. Wir hatten die Rückfahrt für den nächsten Tag geplant. Im Hotel angekommen informierten wir unsere Familie. Was für mich wieder für mich neue Befehle bedeute, und zwar dieses mal von meiner Mama „Pass auf dass sie nichts Schweres hebt und lass sie nicht Auto fahren, das strengt zu sehr an. Hat sie auch immer frisches Obst?“ „Ja Mama, nein ich fahr die ganze Strecke nach Hause, natürlich alleine die 800 km ist doch ein Klacks, nein ich fahr vorsichtig, nein keine -Blinker links und dauer Lichthupe- Nummer, ja natürlich sitze ich den ganzen Tag bei ihr, nein ich lass sie nicht alleine, nein sie wird nichts Schweres tragen, ja ich weiß dann muss ich halt öfters laufen, ja ich versorge sie ausreichend mit Fleisch, frischen Gemüse und Obst, nein ich hab seit Tagen kein Alkohol getrunken“ Dabei blickte ich in Richtung Mülleimer, der einige Dosen Astra beherbergte. „Du musst Dir keine Sorgen machen Mama, wir sind doch alt genug, ja ich pass auf, ja ich lese ihr jeden Wunsch von den Augen ab und ich bin seit Tagen der Flaschengeist, …. nein ich möchte dich nicht veräppeln, Du ich muss jetzt aber auch meine Dienste werden verlangt, ja wir melden uns von unterwegs, ja und wenn wir angekommen sind, natürlich, nein du musst nicht auf uns warten, nein du brauchst nichts zu kochen.“ Manchmal würde ich mir wünschen wir hätten es meiner Familie nie gesagt.
Am nächsten Tag traten wir die Rückfahrt an. Beide überglücklich aber auch mit dem Wissen, dass wir noch nicht aus der Nummer raus sind. Jetzt heißt es abwarten. Abwarten ob sich der kleine Kämpfer ein Platz sucht und sich auch weiterentwickelt. Zehn lange Tage warten bis wir mit Sicherheit wissen, dass es funktioniert hat. Stück für Stück kämpfen wir uns voran. Geprägt von Rückschlägen, Traurigkeit und Wut können wir nur daneben stehen stehen und uns unserem Schicksal ergeben. Das ist das was uns am meisten zu schaffen macht. Aber nun erscheint alles in greifbare Nähe und die Hoffnung flammt auf wie ein Molotow Cocktail der explodiert.