Archiv für die Kategorie ‘Punktion’

 Ich sitze also bei frischen Eiern und Orangensaft im Cafè Paris. Dabei beobachte ich am Nachbartisch eine glückliche Familie. Also jedenfalls dem Anschein nach. Nicht alles ist Gold was glänzt. Also mache ich mir den Spaß und überlege mir folgende Konstellation. Es ist mitten in der Woche und die ganze Familie ist beim Frühstück auswärts. Sie geht nicht arbeiten und lässt sich von ihm aus halten. Noch bevor er die Beziehungen beenden konnte, hat sie die Beziehumg durch den kleinen Jungen gerettet. Nachdem er dann wusste, dass seine Frau das Ding mit der Sekretärin spitz bekommen hatte, hat er ihr seine Liebe mit dem zweiten Kind bestätigt. Da er aber eigentlich genug von dieser Familienkiste hat und sein Da sein lieber als Lebemann verbringen möchte ist er regelmäßig auf Geschäftsreise. Nur seinen Eltern und die gesellschaftlichen Erwartungshaltung binden ihn an die Familie, dies und die Tatsache, dass ihm seine Frau finanziell die Hosen herunterlassen würde. Das sollte mir mal passieren.

Ich trottete wieder durch die Hamburger City und vertrat mir die Zeit. Irgendwie musste ich dabei immer in Bewegung bleiben. Bis ich endlich eine Nachricht auf meinem Handy ankam und zwar von meiner Frau. Sie war im Aufwachraum und wartete auf den Doc. Da ich zwischenzeitlich fast am anderen Ende der Innenstadt war, wechselte ich panisch die Richtung zurück zur Klinik. Um nicht für Panik zu sorgen, meldete ich, dass ich im Cafe im Nachbargebäude sitzen würde und gleich leer habe um zu zahlen und dann im Wartezimmer die restliche Zeit warten werde. Total verschwitzt schäle ich mich aus meiner winterfesten Daunenjacke und nehme im Wartezimmer Platz. Dabei kann ich in den nächsten 20 Minuten der ganzen Belegschaft zu sehen wie sie sich auf die Mittagszeit vorbereiten. Der Doc gibt übers Telefon seine Essenswünsche an die Damen weiter, während diese ihre Tuppern durch den Gang tragen. Dann endlich sehe ich meine Frau, wie sie in Begleitung einer Schwester den Ruheraum verlässt und den Gang hochkommt. Ich nehme die Tasche und bekomme meine Frau übergeben. Dabei schaut mich die Schwester streng an und mahnt mich den persönlichen Leibeigenen für meine Frau zu spielen. Ich bestätigte dies und fragte aber noch sicherheitshalber ob sie mich trotz des Eingriffs zur Kneipe hin und gegen später wieder abholen könnte. Da die Schwester wohl meinen Humor nicht teilte, ignorierte sie die Frage gekonnt.

Über den Bäcker zum Auto und dann zum Hotel zurück. Dort angekommen erhalte ich die ersten Befehle bezüglich der anstehenden Pflege, dazu eine Einkaufsliste mit den wichtigsten Wünschen. Dabei wäre ich auch bereit gewesen Unmögliches wahr zu machen, also quasi frisch gefangenen Fisch aufzutreiben (was in Hamburg ja nicht so schwer sein kann) aber würde ich wohl auch einen „schwimmenden Leoparden“ bekommen?? Das Problem stellte sich zu meinem Glück nicht, denn die Wünsche waren auf wenige Knabbereien und Tomatensuppe beschränkt. Den restlichen Nachmittag verbrachte ich lesend neben meiner schlafenden Frau. Da ich aber nicht jemand bin, der nicht still sitzen kann, trabte ich zunehmend wie ein Tiger im Käfig umher. Oma sagte immer Zappelphillip zu mir. Während meine Frau ihre Narkosereste ausschlief, zappte ich mich durchs Mittagsprogramm, laß, schaute aus dem Fenster und plante meine Bestellung für den Abend bei Pizza Hut, beim Thailänder, bei Mc Donalds, beim Dönerimbiss, American Diner… ich wollte für alle Essenswünsche meine Frau vorbereitet sein. Ich wüsste dann schon was ich gerne essen würde ich notierte mir die Nummer von den Menüs auf einem separaten Zettel. Den dabei aufsteigenden Hunger versuchte ich mit Keksen aus dem Fabrikverkauf zu stillen. Eins war auf jeden Fall klar, unter diesem Kinderwunsch würde nicht nur die Figur meiner Frau leiden.

Dem Anschein nach hatte meine Frau eine große Portion Narkose auszuschlafen. Da mein Hunger aber immer größer wurde und ich Angst hatte, dass mir von dem ganzen Süßkram schlecht werden würde, versuchte ich meine Frau sanft, aber zufällig zu wecken. Ich ließ mich ins Bett fallen …. nix, ich drehte den Fernseher lauter …nix, ich räusperte mich unterstützt durch einen asthmaähnlichem Husten … nix, ich stellte ihr Telefon auf laut und rief sie von meinem aus an … nix, ich trank einen großen Schluck Cola und rülpste so laut ich konnte … nix. Plötzlich klopfte es an der Tür. Es war jemand vom Service der wohl auf dem Flur die letzten Aktionen mitbekommen hatte. „Sagen sie, ist bei Ihnen alles in Ordnung? Ich habe sie zuerst husten hören und dachte sie hätten Atemnot, durch das Aufstoßen hat es sich aber wieder gelöst?? oder??“ „Äähhh, ja, ja hier ist alles paletti, wissen sie meiner Frau geht es nicht so gut … gestern ein bisschen zu viel gefeiert und so … verträgt nichts mehr. Also dann noch einen schönen Tag“ dabei schob ich die Tür wieder zu. Puuuhh ganz schön hellhörig hier. Im nächsten Moment erklang die Melodie ihrer Lieblingsserie im TV und dann …. meine Frau bewegte sich. Sie streckte sich, drehte sich zum Fernseher und fragte ob sie etwas verpasst hatte. „ Nee, gar nichts. Aber sag mal hast du nicht auch so einen riesigen Hunger?“

Am nächsten Tag ging es dann schon etwas besser und wir gönnten uns eine Spazierfahrt zu diversen Lebensmitteln Fabrikverkäufen. Wir fuhren das volle Schnäppchenprogramm. Schokolade, Suppen, Soßen, Wein, Kekse, Kaffee, Waschmittel, Shampoo, Salatsoßen, und und und. Ich kaufte wie wenn es bei uns zuhause keinen Laden mehr geben würde. Trotz aller Befriedigung die sich dadurch ergab, warten wir auf den Anruf vom Doc. Hat es diesmal geklappt? Und wenn ja, wie viele??

Als wir dann zwischen unseren jeweils kurzen Ausflügen eine Pause im Hotel einlegten, meldete sich tatsächlich der Doc. Nachdem wir noch immer die schmerzlichen Erinnerungen an den letzten Rückruf hatten, hatten wir versucht die Hoffnungen nicht mehr ganz so hoch zu schrauben. Wer hoch fliegt, fällt tief. Klar wünschten wir uns nichts größeres und keiner von uns hatte einen größeren Wunsch als dass der Doc uns nur Gutes erzählt. Wir haben aber auch gelernt, dass das Leben kein Streicheilzoo ist und uns das Schicksal auch nicht immer wohlgesonnen war, beruhigten wir uns immer wieder mit den nächsten Versuchen. Irgendwann muss es ja mal klappen. Und dann …. von den vier entnommen Eizellen konnte eine befruchtet werden und wäre, für einen Transfer, bei gleichbleibender Entwicklung, für den nächsten Tag bereit. „Na, habe ich Ihnen doch gesagt oder? Dieses Mal schaut es doch schon besser aus.“ Mit diesen Worten und noch einigen Instruktionen für meine Frau verabschiedete sich der der Doc. Wir konnten unser Glück kaum fassen. Total happy verbrachten wir den restlichen Tag. Um uns dann Abends mit einem Dauergrinsen beim Italiener etwas selbst zu feiern.

Beim Transfer durfte ich dann auch dabei sein. Mit Kittel und Stulpen betraten wir den „OP-Raum“ wenn man das so nennen kann. Ich hielt die Hand meiner Frau und beobachte alles auf den Monitor. Es wurde eine Einstellung aus dem benachbarten Labor gezeigt, die Schale, der Name meiner Frau und dann der die befruchtete Eizelle. Im nächsten Moment wurde sie von der Pipette aufgesogen und kam dann life in den OP zum Doc. Einsetzen und mit dem Ultraschall den Nistplatz checken, die Pipette überprüfen und dann fertig. Fast wie wenn man normal schwanger wird, nur dass ich halt neben meiner Frau saß und alles am Bildschirm beobachten konnte. Das Kuriose war, dass das Spermium zur Befruchtung aus der frischen Probe stammte und nicht aus dem Eis. Sollten die ganzen Quälereien alle umsonst gewesen sein? Zweimal habe ich mir den Hoden aufschneiden lassen, und jetzt das? Mir soll es recht sein, aber wenn mir mal das Schicksal über den Weg läuft, kann ich für nichts mehr garantieren!

Kurze Zeit und einige Instruktionen später saßen wir wieder im Auto. Wir hatten die Rückfahrt für den nächsten Tag geplant. Im Hotel angekommen informierten wir unsere Familie. Was für mich wieder für mich neue Befehle bedeute, und zwar dieses mal von meiner Mama „Pass auf dass sie nichts Schweres hebt und lass sie nicht Auto fahren, das strengt zu sehr an. Hat sie auch immer frisches Obst?“ „Ja Mama, nein ich fahr die ganze Strecke nach Hause, natürlich alleine die 800 km ist doch ein Klacks, nein ich fahr vorsichtig, nein keine -Blinker links und dauer Lichthupe- Nummer, ja natürlich sitze ich den ganzen Tag bei ihr, nein ich lass sie nicht alleine, nein sie wird nichts Schweres tragen, ja ich weiß dann muss ich halt öfters laufen, ja ich versorge sie ausreichend mit Fleisch, frischen Gemüse und Obst, nein ich hab seit Tagen kein Alkohol getrunken“ Dabei blickte ich in Richtung Mülleimer, der einige Dosen Astra beherbergte. „Du musst Dir keine Sorgen machen Mama, wir sind doch alt genug, ja ich pass auf, ja ich lese ihr jeden Wunsch von den Augen ab und ich bin seit Tagen der Flaschengeist, …. nein ich möchte dich nicht veräppeln, Du ich muss jetzt aber auch meine Dienste werden verlangt, ja wir melden uns von unterwegs, ja und wenn wir angekommen sind, natürlich, nein du musst nicht auf uns warten, nein du brauchst nichts zu kochen.“ Manchmal würde ich mir wünschen wir hätten es meiner Familie nie gesagt.

Am nächsten Tag traten wir die Rückfahrt an. Beide überglücklich aber auch mit dem Wissen, dass wir noch nicht aus der Nummer raus sind. Jetzt heißt es abwarten. Abwarten ob sich der kleine Kämpfer ein Platz sucht und sich auch weiterentwickelt. Zehn lange Tage warten bis wir mit Sicherheit wissen, dass es funktioniert hat. Stück für Stück kämpfen wir uns voran. Geprägt von Rückschlägen, Traurigkeit und Wut können wir nur daneben stehen stehen und uns unserem Schicksal ergeben. Das ist das was uns am meisten zu schaffen macht. Aber nun erscheint alles in greifbare Nähe und die Hoffnung flammt auf wie ein Molotow Cocktail der explodiert.

 Zwei Tage nach der Eimerübergabe sitzen wir wieder auf der Couch und spritzen. Fachmännisch präpariere ich das Spritzenbesteck, fast wie ein gut eingespieltes Fixerpärchen sitzen wir da und ich feuern die Eierstöcke an. Ich habe mir lange Gedanken darüber gemacht, aber es soll ja schließlich auch Menschen geben die mit Ihrem Benjaminus ficus zusammen Promidinner anschauen. Letztens hab ich in der Straßenbahn eine Frau beobachtet, die mit Ihren neuen paar Schuhe über die Notwendigkeit der Investition diskutierte. Dann kann ich doch auch den Kontakt zu den Eierstöcken meiner Frau suchen. Morgens beim Frühstück begann ich die ersten Monologe zum wach werden und abends, nach einem langen und anstrengenden Arbeitstag verdienten sie es gleichmäßig getätschelt zu werden.

Eine Woche später waren wir wieder vor Ort. Diesmal gemütlich mit dem Zug. Den Termin hatten wir uns auf den Freitag gelegt.

Da wir nicht genau wussten wie weit die Produktion der Eier vorangeschritten war, war es auch schwierig den Urlaub dafür zu planen. Beim letzten mal hatten wir einfach 2 ½ Wochen Sommerurlaub genommen. Aber da auch ein Teil der Freizeit tariflich geregelt ist, gab es hier Grenzen. Vorsorglich hatte ich im Büro alle auf meinen Urlaub eingestimmt, inklusive mich selbst. Vor lauter Urlaubsschwärmerei sah ich mich schon fast selbst am Strand sitzen. Manchmal komme ich mir dabei wie ein Geheimagent vor. In der normalen Welt einen auf heile Segen und tollen Urlaub machen und insgeheim für den BND nach Südafrika fliegen um einen internationalen Drogenring auszuheben, weil dieser droht den deutschen Markt mit gefährlichen billigen Drogen zu überschwemmen. Darf ich vorstellen: Mr & Mrs Smith. 

Offiziell haben wir unser Herz an die Nordseeküste verloren, tatsächlich war es unser Portmonee in Hamburg. „Timmendorfer Strand, soll ja klasse sein um diese Jahreszeit.“ prahl ich in meine Frühstücksrunde „Wow, so gut möcht ich es auch einmal haben. Ständig Urlaub und dann immer an die Nordseeküste, euch geht halt gut“ – Ja, klar uns geht’s super gut. Und ich hab immer voll Bock für jedes Foto der Eierstöcke stundenlang im Zug oder im Auto zu hocken, ständig in den Wartezimmern auf irgendwelche Untersuchungen zu warten, meine Lenden so ziemlich jedem Doc in der nähren Umgebung zu zeigen, mir zwei Mal den Hoden aufschneiden zu lassen und meiner Frau dabei zu zusehen wie sie sich mit Hormonen vollpumpt. Und zur Krönung kostet mich das ungefähr einen Oldtimer. Ja, ich muß wirklich sagen, uns geht’s super gut und wir wissen das bestimmt nicht zu schätzen. Wenn ich mir so was anhören muss könnt ich innerlich kotzen. Ich lächle aber nur freundlich und sag „Ja, so ein paar Tage am Strand, das haben wir uns halt verdient.“

Insgeheim hatte ich gehofft der Doc terminiert uns gleich auf den Montag, dann wären wir einfach in Hamburg geblieben. Hat er aber nicht. „Schaut ja ganz gut aus! Vier … oder fünf Stück dürften es werden.“ sagt er und rollt dabei hinter seinem Monitor vor. Er nimmt die Brille ab und schaut uns an. „Wissen Sie …. Qualität geht vor Quantität. Funktioniert wie beim Wein. Da wird ja schließlich auch zurück geschnitten.“ Er erhöhte uns noch die Dosis der Spritzen und plante den voraussichtlichen Entnahmetermin auf den kommenden Mittwoch. Um das genau zu bestimmen wurde meiner Frau wieder ein Haufen Blut abgenommen, damit die Hormone gecheckt werden konnten. Außerdem mussten wir wieder für den üblichen HIV und Hepatitis Test Blut da lassen.

Wir also wieder zurück nach Hause und ich mit einem unheimlichen Durst auf Wein gleich in den Keller. Da der Urlaub ja begrenzt ist, saßen wir am Montag wieder im Büro. Nicht nur, dass ich mir eh schon immer blöd vorkam bei diesem Geschichten erfinden, nun mussten die Kollegen doch auch erkennen, dass ich komisch bin. Also hab ich kurzerhand jemanden aus der Verwandtschaft schwer krank werden lassen und aus diesem Grund den Urlaub einfach um ein paar Tage verschoben. Bei einigen habe ich behauptet, dass ich nie gesagt hätte ich würde in den Urlaub gehen, anderen habe ich meinen korrigierten Kalender vor die Nase gehoben und mit überzeugtem Unverständnis den Kopf geschüttelt „Zuhören ist nicht Ihre Stärke, oder?“ Wenigstens war es lustig in die verwirrten und selbst zweifelnden Gesichter zu blicken. Hat Vor -und Nachteile, dass nicht besonders viele Leute in unsere Kinderwunschbehandlung eingeweiht sind – die ständige Geschichtenerfinderei ist einer der Nachteile.

Es kam der folgende Dienstag. Die Hormonbestimmung hatte tatsächlich ergeben, dass die Punktion Mittwochs stattfinden sollte. Montags abends hatten wir die entscheidende Spritze gesetzt, um den Einsprung auszulösen und wir waren wieder auf dem Weg 750 km nach Hamburg.

Im Autoradio läuft „Highway to hell“. Das läuft normalerweise nur im Radio wenn ich auf dem Weg zur Arbeit bin. Vor unserer Reise hatte ich mir ein Schnäppchen App auf mein Telefon geladen. Zum Leid meiner Frau, da ich nun ständig das Ding an hatte und immer wieder hektisch von der Autobahn fahren wollte. Nach einer kurzen aber sehr bestimmenden Diskussion mit meiner Frau beschränkte sich mein Kaufrauschabenteuer auf nur noch wenige und handverlesene Fabrikverkäufe. Der erste Stopp war bei Puma wo meine Frau in den achsonervigen Fabrikverkäufen sogar Schuhe fand (hätte mich ja auch gewundert wenn nicht, denn Handtaschen gab es hier keine), dann bei Hannover zu Bahlsen und in Hamburg sollten es über die Zeit des Aufenthalts verteilt noch zu Nestle, Salzbrenner (Wurstwaren) und Unilever gehen. Die Einkauftouren gepaart mit verschiedenen Menüs beim Schachtelwirt brachten mich in die richtige Stimmung. Da wir uns ausreichend Puffer eingebaut hatten kamen wir erst recht spät in Hamburg an. Auf dem Weg zum Hotel kamen wir bei dem kleinen Thai-Imbiss vorbei, bei dem ich mir in der Vergangenheit schon öfters etwas zum mitnehmen bestellte. Als wir an der Ampel standen und auf grün warteten, winkte mir Gung aus der Küche zu. Ich hatte Tränen in den Augen. Ich war wieder zu Hause. Beim Einchecken im Hotel begrüßte man uns wie alte Bekannte. Ohne große Erklärungen erhielten wir die Schlüssel und den Zugang zum kostenlosen W-Lan. Unser Auto parkten wir nicht auf dem kostenpflichtigen Hotelparkplatz wie die Anfänger, sondern in der umliegenden Nachbarschaft. Wir kannten uns schließlich schon aus.

Dann kam er, der Mittwoch. Der Tag der Entnahme. Ich brachte meine nichtdurchgeschlafene Frau in die Praxis. Anmeldung, nochmal Anmeldung und dann fest drücken. Dann durfte ich in die Kabine um eine frische Probe abzugeben. Ja, genauso hatte ich mir Hamburg vorgestellt. So richtig verrucht und für diverse Sexabenteuer bekannt. Nur leider nicht hier in der Praxis. Bereits beim letzten Mal hatte ich mich über die Auswahl der Filme bei der Abgabe des Bechers beschwert. Geändert hatte sich nix. Soviel Aufregung am Morgen macht hungrig und nachdem ich aus Solidarität zu meiner Frau auch nichts gefrühstückt hatte war mein nächster Weg ins Cafè Paris. Dort hatte ich einen Tisch auf Smith bestellt.

Der Stuttgarter Hauptbahnhof besteht den Stresstest, die Schleck-Brüder erreichen einen Doppelsieg in der 18. Tour-Etappe der Tour de France und das Wetter in Hamburg ist teils sonnig. Es war der 21.07.2011 und für uns ein bedeutender Tag.

Um nicht ständig für jede Kontrolluntersuchung nach Hamburg zu fahren, haben wir beschlossen unseren Jahresurlaub an der Nordsee zu verbringen. Zweieinhalb Wochen friesisch herb. Die Vorbereitung war relativ einfach, da wir nur die ersten zwei Tage an der Küste und danach eine Übernachtung in Hamburg gebucht hatten, sollte dies, wie unsere bisherigen Urlaube auch, sehr spontan sein. Den Rest buchten wir nach dem Behandlungsplan von unserem Doc. Um mich vor einer Reisekrankheit zu schützen stieg ich schon einige Wochen vor unserem Urlaub auf Jever um und nahm verstärkt Fischprodukte zu mir. Die Hinweise meiner Frau, dass die Fischstäbchen noch nie das Meer gesehen hätte, stellte ich als Verschwörung gegen den weißbärtigen Kapitän sehr in Frage. Immerhin ist das der Werbeheld meiner Jugend. Bester saftiger Seelachs – ……mmmhhhh kommt von weitem übers Meer und bringt uns unsere ……mmmhhhmhhmh

Da wir keinerlei Erfahrungen hatten, wie meine Frau auf die Hormonbehandlung reagierte und wie schnell der Körper die notwendigen Eizellen entwickelt, waren wir der Natur nicht nur wetterbedingt ausgesetzt. Auch der Doc konnte nicht in die Glaskugel schauen und uns die Termine voraussagen. Um die Entwicklung nicht zu überfordern, begannen wir im Behandlungsplan mit einer geringen Dosis. Was dann unseren Urlaub auch fast bis auf den letzten Tag ausreizen sollte. Wir pendelten also ständig zwischen Husum-Hamburg, Lübeck-Hamburg (ist gut im Marzipan), Sankt Peter Ording-Hamburg, Büsum-Hamburg, …..-Hamburg, …. Ich war von der Landschaft von Anfang an begeistert und da ich mich mit der Zeit nicht nur in Hamburg sehr gut zurecht fand sondern auch im Umland überlegte ich meinen Bürojob hinzuschmeißen und hier als Berufskraftfahrer anzufangen. Ich hätte sogar einen LKW-Führerschein. Wie ich zu dem gekommen bin ist aber eine andere Geschichte. Meine Frau meinte allerdings, dass es jetzt der falsche Zeitpunkt für einen Neuanfang wäre und nahm mir den Teil mit den Stellenanzeigen weg. Es müsste reichen wenn wir unseren Kind einen nordischen Namen geben würden. Wir genossen unseren Urlaub, Land und die Freundlichkeit der Menschen. Wir aßen soviel Fisch wie noch nie. Dazu versuchten wir alle typischen Touri-Allüren zu erfüllen. Wir pressten uns wie die Flüchtlinge auf eines der Schiffe nach Wangerooge und nach Helgoland. Kauften wie wahnsinnig im Duty-Free Shop ein und ich tranken viel Ostfriesentee mit Sahne. Wir versuchten uns im Watt und kannten relativ schnell die vielen Siele. Wir hatten sogar das Glück einen Bernstein mit Urzeitstubenfliege zu bekommen. Zu dem sind wir aber nur gekommen, weil wir uns in der Kinder-Bernstein-Schleiferei in die lange Schlange gestellt haben. Was wir allerdings etwas wie einen nicht eingeholten Anker hinter uns herzogen war die Spritzerei der Hormone. Da diese +/- 30 min am Abend erfolgen musste waren wir im Abendprogramm etwas gebunden. Das nahmen wir aber gerne in Kauf.

Nachdem wir mittlerweile im Hotel in Hamburg bekannt waren, verzichtete man auch uns in die Gepflogenheiten des Hauses einzuweisen. Da wir ja immer im gleichen Hotel waren, musste mein Punktekonto bereits einen Partneranteil der Kette wert sein.

Dann endlich stand der Tag der Punktion an. Wir waren beide nervös, die Nacht vorher haben wir kaum etwas geschlafen. 9:00 Uhr Termin, 7:00 Uhr aufstehen. Dann ging tatsächlich alles sehr schnell. Fünfter Stock anmelden, sechster Stock Frau abgeben. Wir drücken uns noch, da wird sie mir schon aus den Armen genommen. Ich schau ihr noch etwas nach, als mich die Empfangsschwester aus meiner Starre holt „Sie können jetzt gehen, oder wollen Sie bis heute Mittag hier im Flur stehen?“ Sie grinst mich an. „Wir kümmern uns um Ihre Frau schon, machen Sie sich mal keine Sorgen“. Da der Doc meinte, es würde Sinn machen noch eine frische Probe aus meinem Haus zu bekommen, evtl. würde man da ja doch noch Spermien finden die man verwenden könnte. Die Andrologin führt mich in einen Raum abseits der Praxis. Sie drückt mir den Becher in die Hand und verabschiedet sich. Hamburg mal anders, abseits der Ihnen bekannten Touristenrouten . So, oder so ähnlich könnte dies im Reiseführerstehen.

Zurück aus der Praxis stehe ich auf der Straße und bewege mich in Richtung City. Da ich aus Solidarität noch nicht gefrühstückt hatte, steuere ich als erstes zielsicher den nächsten Bäcker an. Danach zog ich von Laden zu Laden, ohne irgendetwas zu kaufen, mit gedankenverlorenem Blick. Vermutlich haben sich sich die Kaufhausdetektive bereits per Funk und Ladenübergreifend zusammengeschlossen. Mission Impossible in der Hamburger Innenstadt, vermutlich liefen meine Bilder aus den Videoaufnahmen von Karstadt bei Scotland Yard und Interpol durch den Rechner. Jeder von diesen Kaufhauscops wollte der Volksheld sein der mich verhaften darf. Aber alles was bei der Rasterfahndung herausgekommen sein dürfte, waren lediglich ein Paar Strafzettel wegen Falschparken und abgelaufenen TÜV (ich hing so sehr an diesem Auto, das es nicht mal der TÜV schaffte uns zu trennen! Letztendlich war es aber dann der ROST und der Hang nach Sicherheit von meiner Frau!). Nach etlichen langen Stunden konnte ich meine Frau wieder aus der Praxis abholen. Das Ergebnis waren acht kräftige Eier.

Wieder im Hotel angekommen hieß es abzuwarten. Abwarten welche Eier sich befruchtet haben. Abwarten bis uns der Doc anruft. Und dann …